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Zoom Fatigue: Warum erleben Frauen die digitale Ermüdung durch pausenlose Online-Meetings häufiger? Welche präventiven Ansätze für den Hochschulkontext lassen sich finden?

Ein Großteil der Arbeits-, Lern- und sozialen Interaktionen nicht nur an den Hochschulen findet seit Beginn der Pandemie online statt. Unzählige Videokonferenzen ermöglichen es, miteinander in Kontakt zu bleiben, den Großteil der Lehrveranstaltungen weiterhin anbieten zu können, die Arbeit in Gremien, Forschungsgruppen und Teams auch auf Distanz fortzusetzen. Auf der anderen Seite lassen sich zunehmend Auswirkungen dieser pausenlosen Onlinetreffen beobachten.

“Zoom Fatigue” (hier gleichbedeutend verwendet mit “digitaler Ermüdung“) beschreibt Symptome von Ermüdung und Erschöpfung, die von immer mehr Nutzenden von Videokonferenzen wahrgenommen werden. Erste wissenschaftliche Studien haben Ursachen und Mechanismen untersucht, soziodemographische Unterschiede erklärt und geben Anregungen zur Verringerung der Zoom-Müdigkeit.

Auch an den Hochschulen stehen die Mitarbeitenden vor der Herausforderung, ihre Lernenden, sich selbst und die Teamkolleg*innen vor dieser digitalen Ermüdung zu schützen.

In einer typischen Videokonferenz sehen wir uns ständig selbst. Dadurch fällt es schwer, sich auf die Umwelt, also die anderen Konferenzteilnehmer, zu konzentrieren. Zusätzlich irritieren nonverbale Reize in Videokonferenzen. Vor allem der fehlende Blickkontakt macht die Kommunikation anstrengend. Die virtuelle und die reale Situation passen nicht zusammen – der Körper sitzt am Schreibtisch, der Geist befindet sich in einem virtuellen Raum. Auch das Fehlen von Small Talk und zu wenige Pausen in und zwischen den Meetings führen zu zusätzlichen Belastungen – schließlich entfallen die Unterbrechungen, die für Raumwechsel oder die Anfahrt notwendig wären. Die Notwendigkeit zur verstärkten Konzentration führt zu einer schnelleren Ermüdung bis hin zur Erschöpfung und kann sich z.B. in einer schlechteren Konzentrationsfähigkeit, aber auch in Kopf- und Gliederschmerzen äußern.

Grundsätzlich gelten als Erklärungsansätze für die Ermüdung durch pausenlose Videokonferenzen neben technischen Problemen insbesondere die komplexe räumliche Dynamik in Videokonferenzen oder die zusätzliche kognitive Anstrengung, mit anderen in diesem Kontext zu interagieren.

Géraldine Fauville berichtete im Rahmen der Frühlingskonferenz der Media and Learning Association  über eine Studie[1] der Universitäten Göteborg und Standford, die auf nonverbale Mechanismen zur Erklärung der Zoom-Ermüdung fokussiert und die höhere Betroffenheit bei Frauen erklärt.

Wesentliche Befunde dieser Untersuchung werden im Folgenden zusammengefasst.

Folgende fünf nonverbale Mechanismen der Zoom-Müdigkeit wurden für die Studie definiert und hinsichtlich ihrer kognitiven, psychologischen und physiologischen Einschränkungen untersucht:

  • Spiegelangst, die durch die permanente Selbstansicht in Videokonferenzen ausgelöst werden kann,
  • Das Gefühl der körperlichen Gefangenheit durch die eingeschränkte Beweglichkeit im Blickfeld der Kamera,
  • Der Hyper-Blick, also das Gefühl ständig von allen Teilnehmenden immer angestarrt zu werden, unabhängig davon, ob man gerade spricht,
  • Anstrengung und Aufmerksamkeit, um nonverbale Kommunikation zu produzieren,
  • Die Interpretation der nonverbalen Hinweise anderer Personen als kräftezehrende Herausforderung.

Es gilt als belegt, dass Frauen während der Pandemie grundsätzlich mehr mit Körperbildangst und Regulierung von Bewegung und Ernährung sowie größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und schwererer Kinderbetreuungslast zu kämpfen haben.

Zusätzlich bestätigen Studien, dass Frauen stärker dazu neigen, eine größere Vielfalt an unterschiedlichen Gesichtsausdrücken zu zeigen als Männer, z.B. mehr zu lächeln. Man kann davon ausgehen, dass sich Frauen besser an das Aussehen und an nonverbale Verhaltensweisen der Gesprächspartner erinnern können als Männer. Videokonferenzen können also die kognitive Belastung, die mit diesen nonverbalen Mechanismen verbunden ist, für Frauen stärker erhöhen als für Männer.

Die Studie hat an mehr als 10.000 erwachsenen Studienteilnehmenden einer Zufallsstichprobe aus der Bevölkerung Assoziationen zwischen der Zoom Fatigue und den fünf genannten nonverbalen Mechanismen getestet.

Wesentliche Studienergebnisse

Eine hohe tägliche Anzahl an Online-Videokonferenzen, die lange Dauer der Meetings und kurze Pausen zwischen den einzelnen Videokonferenzen korrelieren signifikant positiv mit der empfundenen Müdigkeit der Befragten. Dabei gibt es Hinweise, dass die Besprechungsdauer für die Ermüdung wichtiger ist als die Häufigkeit und Pausendauer.

Frauen berichteten ein signifikant höheres Maß (knapp 14 %) an Zoom-Müdigkeit als Männer – bei gleicher täglicher Anzahl an Meetings, allerdings mit längerer Dauer und weniger Zwischenpausen.

Von den fünf nonverbalen Mechanismen konnte für die gesamte Stichprobe am häufigsten das körperliche Eingeschlossensein die Müdigkeit vorhersagen – gefolgt von Spiegelangst, Hyper-Blick, Produktion und Interpretation nonverbaler Hinweise. Im Vergleich zu den Männern und in Übereinstimmung mit der psychologischen Forschung berichteten Frauen signifikant häufiger insbesondere von Spiegelangst. Dies fußt nicht zuletzt auf der Beobachtung, dass Frauen bei der Beschreibung ihrer Videokonferenzerfahrung stärker selbstfokussiert waren als Männer. Wenn auch deutlich nachrangig, so verstärken der Hyper-Blick und die körperliche Gefangenheit den geschlechtsspezifischen Aspekt der Müdigkeit als weitere Haupt-Faktoren.

Die Untersuchung weiterer individueller Faktoren ergab, dass das Alter negativ mit der Müdigkeit korreliert war, also ältere Personen ein weniger hohes Maß an Müdigkeit berichten. Auch Extraversion und emotionale Stabilität ließen sich in der Studie negativ mit der Ermüdung korrelieren. Introvertierte und emotional stabilere Personen empfinden also im Vergleich weniger Müdigkeit; die größere Ermüdung der Frauen blieb jedoch auch unter Bereinigung um diese individuellen Faktoren bestehen.

Als Einschränkungen der Studie nennt das Forscherteam eine eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe in Bezug auf die Bevölkerung sowie Verzerrungen in der Aussagekraft der Daten, die aus Selbstauskünften der Probanden zum Verhalten und nicht aus Messungen gewonnen wurden. Nicht zuletzt merken die Autoren der Studie eine Notwendigkeit zur Schärfung der Messinstrumente (Skalen) an.

Zukünftig werden – sowohl im Hochschulkontext wie auch im sonstigen professionellen Umfeld – auch in der Post-Pandemie-Ära weiterhin die Vorteile von Videokonferenzen genutzt werden. Für die hybride Zukunft ist es deshalb umso wichtiger, die Vorteile von Videokonferenzen zu maximieren und gleichzeitig die ungleich in der Gesellschaft verteilten psychologischen Nachteile zu reduzieren.

Mögliche Maßnahmen

Besonders mit Blick auf mögliche Maßnahmen zur Abmilderung der Ermüdung steht die Forschung im Rahmen empirischer Studien noch am Anfang.

Das Forscherteam impliziert aus den Befunden der Studie, den Effekt der nonverbalen Mechanismen zunächst anzuerkennen und in den Fokus weiterer Maßnahmen zu rücken. Konkret ließe sich beispielsweise durch die Umgestaltung der Arbeitsumgebung (z.B. durch ein Stehpult oder die Vergrößerung des Abstandes zur Kamera) dem Gefühl der körperlichen Einengung begegnen. Unternehmen könnten im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeitenden und mit Blick auf die Gleichstellung (also den Ausgleich der vorhandenen geschlechterspezifischen Ungerechtigkeiten) Richtlinien für die Häufigkeit, Dauer und Pausenzeiten für digitale Besprechungen geben und gleichzeitig die Nutzung asynchroner nonverbaler Kommunikationsmittel unterstützen oder als Standard in den Videokonferenzsystemen einstellen, dass die Selbstansicht ausgeschaltet ist.

Was bedeutet das für die digitale Lehre?

Als präventive Ansätze zur Reduzierung der digitalen Ermüdung im Hochschulkontext empfehlen wir:

  • Investieren Sie zu Semesterbeginn und auch in jeder Sitzung bewusst ausreichend Zeit in die Online-Sozialisierung. Treten Sie – gerade im Online-Kontext- immer wieder mit Ihren Studierenden in Kontakt und pflegen Sie eine persönliche Ebene. Starten Sie in eine Lehrveranstaltung am besten mit einem „lockeren“ Live-Online-Meeting zum Kennenlernen; nutzen Sie diesen Rahmen auch dafür, den Kursablauf, die Inhalte, den Workload und alle Modalitäten zur Prüfung transparent zu machen.
  • Minimieren Sie die Dauer eines Online-Treffens. Präsenzsitzungen lassen sich nicht eins zu eins online reproduzieren – weder Seminare noch Vorlesungen. Als empfehlenswerter Richtwert für die zeitliche Dauer gelten maximal 45 Minuten, je kürzer, desto besser. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne beim rein passiven Rezipieren eines Videovortrags oder Lernfilms liegt im Bereich von nur fünf Minuten.
  • Schaffen Sie künstliche und aktive Pausen. Gönnen Sie sich und Ihren Lernenden innerhalb einer 90 Minuten-Veranstaltung mindestens eine Pause von 15 Minuten. Motivieren Sie Ihre Lehrenden explizit zu einer aktiven Pause mit Bewegung und dazu, Kamera und Mikro dabei auszuschalten.
  • Mitmachen hält wach. Variieren Sie in Ihrer Lehrveranstaltung gezielt und ausgewogen mit unterschiedlichen Medien und Methoden, um – abhängig von der gerade verfolgten Lernzieltaxonomieebene – immer wieder Abwechslung anzubieten und zur aktiven Beteiligung anzuregen. Im Rahmen des Inverted Classroom Modells lässt sich beispielsweise ein Großteil der Wissensvermittlung in asynchrone Phasen auslagern, so dass die synchronen Sitzungen (unabhängig davon, ob live oder online) in erster Linie dem interaktiven Austausch und der Aktivität aller Anwesenden dienen. Denken Sie daran, Ihre Studierenden im Online-Studienalltag zu entlasten, z.B. durch mehr Flexibilisierung in Selbstlernphasen.
  • Gestalten Sie die Lerneinheiten möglichst kurz, z.B. als Microlearnings (in Form kleiner Lernfilm-Häppchen, als begrenzten grafischen oder schriftlichen Content), so dass Ihre Lernenden immer wieder Abwechslung zwischen passiven Rezeptionsphasen und Aktivität bekommen und einzelne Einheiten bedarfsorientiert einsetzen und ansteuern können.
  • Sie können zur nachhaltigen Stärkung der Motivation gezielt und sparsam Aspekte der Gamification (z.B. Belohnungen) nutzen, um ihre Lernenden beim kontinuierlichen Lernen zu unterstützen.
  • Die Arbeit in kleineren Gruppen z.B. in Breakout-Rooms während eines Onlinetreffens aktiviert die Teilnehmenden und reduziert zugleich effektiv den Stress.
  • Die Whiteboard-Funktion kann zur Kollaboration benutzt werden und lenkt die Aufmerksamkeit zugleich von den Gesichtern ab.
  • Schalten Sie ab und zu Ihre Kamera aus und bitten Sie auch Ihre Lernenden dies zu tun, besonders dann, wenn es sich gerade um keine ausgeprägte interaktive Phase der Veranstaltung handelt. Auch reine Audiointeraktion kann hinsichtlich der genannten nonverbalen Mechanismen entlasten. Beispielweise in Kleingruppen und bei der Arbeit mit dem Whiteboard können Sie Ihre Lernenden explizit ermuntern, alle Kameras auszuschalten.
  • Bitten Sie ihre Lernenden, zum Fragestellen den Echtzeit-Chat zu nutzen, um beispielweise einen Vortrag nicht zu unterbrechen. Räumen Sie anschließend ausreichend Zeit ein, um verlässlich alle Fragen beantworten zu können, mit Ihren Lernenden ausführlich in Kontakt zu treten und das soziale Miteinander im Kurs zu fördern.
  • Eine humorvolle Moderation, die alle Teilnehmenden mit einbindet und Emotionen zulässt, sorgt für eine gute Atmosphäre im Online-Kurs und kann zu einer Verringerung der Ermüdung beitragen.
  • Reduzieren Sie, wenn möglich, die Teilnehmendenzahl. Schließlich sollte auch jeder zu Wort kommen können. Die ganze Zeit nur zuzuhören und gleichzeitig unter Beobachtung zu stehen, verstärkt die Ermüdung.

Auch bei der Einrichtung Ihres Arbeitsplatzes können Sie mit diesen Tipps der Ermüdung vorbeugen: 

  • Ein externer Monitor und/oder Tastatur schafft Abstand zwischen Ihnen und dem Monitor und vergrößert den Abstand zu den Gesichter-Kacheln auf dem Bildschirm.“
  • Minimieren Sie das Meeting-Fenster auf Ihrem Monitor.
  • Reduzieren Sie Ablenkung und Multitasking so weit wie möglich.
  • Sorgen Sie gut für sich und achten Sie auf regelmäßige und aktive Pausen.

Wir freuen uns über Ihre Erfahrungen oder Anregungen – schreiben Sie uns digitale-lehre@ili.fau.de.


[1]             Fauville, Geraldine and Luo, Mufan and Queiroz, Anna C. M. and Bailenson, Jeremy N. and Hancock, Jeff, Nonverbal Mechanisms Predict Zoom Fatigue and Explain Why Women Experience Higher Levels than Men (April 5, 2021). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3820035 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3820035

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