Wie für alle empirischen Phänomene gilt sicher auch für das Lernen: je mehr wir über Veränderungen eines Inhaltsbereiches in der Vergangenheit wissen, desto besser können wir die Zukunft vorhersagen.
Ein Meilenstein in der Entwicklung des Lernens war die fortschreitende Digitalisierung der Welt seit den 80ern. Entfernungen spielten keine Rolle mehr, Vervielfältigungs- und Transportkosten reduzierten sich drastisch, Fax und Telex verloren ihre Bedeutung. Im Prinzip konnte seither jeder überall da lernen, wo er/sie sich gerade befand, vorausgesetzt, entsprechender Lernstoff war verfügbar und die Netzanbindung war leistungsstark genug. Auch die sozialen und kommunikativen Aspekte des Lernens waren jederzeit mit technischer Hilfe realisierbar. Die Unabhängigkeit von Ort und Zeit wird durch die große Vielfalt von mobilen Endgeräten immer noch weiter wachsen.
Bedeutet dies, dass das Lernen in der Zukunft nur noch der Verantwortung des einzelnen Individuums obliegt? Nicht generell, aber partiell: Inzidentelles Lernen, das unvermeidliche Lernen nebenbei, war schon immer eine private, individuelle Angelegenheit. Informelles Lernen, das intendierte individuelle Lernen ohne Lernbegleitung und Lernorganisation, wird immer höheren Stellenwert einnehmen, es wird in vielen Kontexten selbstverständlich erwartet werden. Die Flexibilität der Lebensläufe wird zunehmen. Das in der Hochschule erworbene Wissen – zumindest das Schmalspur-Bachelorwissen – wird nicht weit reichen, so dass das lebensbegleitende Lernen unmittelbar nach dem Studium einsetzen muss. Und das kann vielfach nur bedeuten: selbstverantwortetes, freies Lernen, in der Regel netzbasiert, und zwar bis zum Ende der beruflichen Dienstzeit.
Daneben wird formales und non-formales, das bedeutet geführtes und sozial eingebettetes Lernen, weiterhin seine Berechtigung behalten. Es bildet die solide Grundlage für alles weitere Lernen und hat in der Regel eine gewisse Qualitätssicherung erfahren. Nur der soziale Austausch ermöglicht, das Wissen adäquat zu kontextualisieren, Rückmeldung über den Grad des Verständnisses zu erhalten und das eigene Anspruchsniveau mit der Realität abzugleichen. Auch der soziale Wettbewerb kann sich lernfördernd auswirken, wenn er an der richtigen Stelle einsetzt (eher bei leichteren Aufgaben in entspannter Stimmung).
Soziales, organisiertes Lernen bedeutet allerdings nicht zwangsläufig face-to-face-Lernen. Alle positiven Aspekte der sozialen Einbettung von Lernen können mit gleicher Wirksamkeit über das Netz realisiert werden. Inwieweit der Einzelne diese Variante in Zukunft nutzen wird, hängt von Faktoren ab wie: Verfügbarkeit von entsprechenden Kursangeboten, Preisfindung (auch MOOCs werden in den seltensten Fällen kostenfrei bleiben), eigene Lernsozialisation, geographische Situation oder Mobilität.
Alles deutet darauf hin, dass die Verantwortlichkeit für den selbstständigen Kompetenzerwerb mit der immer leichtern Zugänglichkeit von Wissen und kurzfristig wechselnden Anforderungen in Privatleben und Beruf deutlich steigen wird. Die Ausrede: „Das konnte ich nicht wissen“ wird immer schwerer begründbar, die eingangs zitierten Trends sind nicht umkehrbar.
Diese absehbare Entwicklung sollte selbstverständlich auch in der Schule Berücksichtigung finden: Die Lernenden sollten sich eigene Ziele setzen und diese verfolgen können.
Quellen/Sources:
- Originaltext aus dem Kalender 2015 / Original text from the Calendar 2015
- Fotos/Photos: © buchachon , S.John, Teamarbeit – Fotolia.com