Das I Ging ist ein Mysterium. Niemand weiß genau, wann und von wem es geschaffen wurde. Vermutlich ist es aber in seinen Ursprüngen um die 5000 Jahre alt, hat verschiedene Schöpfer, die das Buch über Jahrhunderte weiterentwickelten, und begleitete China durch seine gesamte Geschichte. In westlichen Kulturen war es seit dem 17.Jahrhundert bekannt, erreichte aber erst aufgrund der Übersetzung des deutschen Sinologen Richard Wilhelm, die 1924 erschien, seine heutige enorme Verbreitung.
Das I Ging kann sowohl als eine Sammlung von Weisheiten, die alle Vorgänge auf der Welt und im menschlichen Leben betreffen, als auch als Orakelbuch verstanden werden. Um es als Orakel zu bestimmten Lebensfragen zu verwenden, werden entweder Stäbe (traditionell Schafgarbenstängel) ausgelegt oder Münzen geworfen. Das Ergebnis ist eine von 64 Figuren oder Hexagrammen. Jedes Hexagramm zeigt ein charakteristisches Zusammenspiel der beiden kosmischen Grundkräfte Yin (ruhend, bewahrend) und Yang (schöpferisch, bewegend) und hat eine bestimmte Bedeutung, die als Antwort zum Thema interpretiert werden kann. Dabei verwendet das Buch eine bildhafte, intuitive Sprache, die nicht immer klare Deutungen zulässt. So heißt es etwa zu Hexagramm 49, Go: „Die Umwälzung. Am eigenen Tag, da findest du Glauben. Erhabenes Gelingen, fördernd durch Beharrlichkeit. Die Reue schwindet.“ Und bei Zeichen 42, I, steht: „Die Mehrung. Fördernd ist es, etwas zu unternehmen. Fördernd ist es, das große Wasser zu überqueren.“
Im Vergleich zu anderen Orakeln besitzt das I Ging zwei Besonderheiten: zum einen erhebt es den Anspruch, alles, was in der Welt vorgeht, in seinen verschiedenen Figuren abzubilden. Es werden aber nicht Zustände abgebildet, sondern Wandlungen. Da die Welt und das menschliche Leben als permanenter Übergang von einem zum anderen aufgefasst werden, werden die Dinge nicht in ihrem Sein, sondern in ihrer Veränderung betrachtet. Zum anderen fragt das Buch der Wandlungen im Gegensatz zu anderen Orakeln nicht nur danach, was das Schicksal bringen wird, sondern geht davon aus, dass es für jeden Zustand angemessene Verhaltensweisen gibt. Das Schicksal wird damit nicht passiv hingenommen, sondern in jeder I Ging-Deutung wird auch die Frage beantwortet: Was soll ich tun? Damit kommt dem Fragesteller eine aktive Rolle zu. Was er mit den Tendenzen seiner Situation anfängt und in welche Richtung er sich entscheidet, bleibt ihm selbst überlassen. Die Hexagramme und ihre bildhafte Beschreibung sollen die eigene Intuition des Fragenden zu dem betreffenden Lebensthema anregen.
In seiner faszinierenden Tiefe wurde und wird das I Ging von vielen bedeutenden Persönlichkeiten geschätzt und zu Rate gezogen. In Japan soll es bis heute vor wichtigen politischen Entscheidungen befragt werden. Bob Dylan bezeichnete es als „das Einzige, was phantastisch wahr ist“, und von Hermann Hesse stammen die Äußerungen: „Es ist in diesem Buch, das ich niemals mehr als ahnungsweise und für Augenblicke werde verstehen können, ein System für die ganze Welt aufgebaut.“– „Dort steht alles, was gedacht und gelebt werden kann.“
Quellen/Sources:
- Originaltext aus dem Kalender 2014 / Original text from the Calendar 2014
- Zimmermann, G. (2003). I Ging. Kreuzlingen/München: Heinrich Hugendubel Verlag.
- http://gutenberg.spiegel.de/buch/1325/1
- I Ging. Das Buch der Wandlungen (2001). Übersetzt von Richard Wilhelm. 26.Auflage. Kreuzlingen/München: Heinrich Hugendubel Verlag.
- http://en.wikibooks.org/wiki/I_Ching/Interpretation
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